Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt führte Algerien eine Regel ein, nach der lokale Unternehmen zu mindestens 51% im Besitz algerischer Anteilsinhaber sein mussten. Diese Regel wurde im Ausland schnell als Bremse für ausländische Investitionen kritisiert. Die im ergänzenden Finanzgesetz für 2009[1] verabschiedete sogenannte „51/49“ -Regel, die zu diesem Zeitpunkt in das Investitionsgesetzbuch[2] aufgenommen wurde, legte einen Grundsatz fest, der zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen nur eine Ausnahme kannte: den Außenhandel. Bei Unternehmen, die schwerpunktmäßig im Außenhandel tätig waren, durfte die ausländische Beteiligungen bis zu 70% reichen. Das ursprünglich geplante Regime wurde im Laufe der Jahre mehrfach leicht verändert, jedoch brachte erst das Finanzgesetz 2020 eine nennenswerte Änderung der 51/49-Regel.
Das Finanzgesetz 2020[3] brachte zum ersten Mal seit ihrer Einführung eine wesentliche Lockerung der 51/49-Regel, indem deren Anwendung auf Aktivitäten „strategischer Natur für die Volkswirtschaft“ beschränkt wurde. Ursprünglich war geplant, durch Verordnung eine Liste von Aktivitäten zur Herstellung von Waren und Dienstleistungen von strategischem Interesse zu veröffentlichen, die weiterhin unter die 51/49-Regel fallen sollten[4]. Anstelle dieser versprochenen Liste hat der algerische Gesetzgeber dann jedoch nacheinander zwei Gesetze verabschiedet, welche die abgeschwächte 51/49-Regel im Detail umsetzen sollten.
Erstens hat das ergänzende Finanzgesetz 2020[5] den Geltungsbereich der 51/49-Regel auf den Wiederverkauf von Produkten und auf bestimmte Tätigkeiten in einigen strategisch wichtigen Sektoren begrenzt, nämlich:
- wesentliche Bereiche des Bergbaus und der Rohstoffgewinnung;
- wesentliche Bereiche des Energiesektors;
- die Verteidigungsindustrie;
- Eisenbahnen, Häfen und Flughäfen;
- die Pharmaindustrie, mit einigen Ausnahmen.
Das Finanzgesetz 2021[6] sorgte dann für weitere Klarheit: Die 51/49-Regel gilt nun nicht mehr für alle Wiederverkaufsaktivitäten, sondern nur noch für die Einfuhr von Rohstoffen, Produkten und Waren, die zum Wiederverkauf bestimmt sind.
Darüber hinaus bedarf jede Übertragung von Anteilen an einem algerischen Unternehmen, das in einem strategisch wichtigen Sektor tätig ist und die zugunsten ausländischer Investoren erfolgt, der vorherigen Genehmigung durch die zuständigen Stellen[7]. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels war noch keine Norm zur Umsetzung dieser gesetzlichen Bestimmung erlassen worden. Tatsächlich wurden seit Inkrafttreten des Finanzgesetzes 2020 bereits mehrere Unternehmen gegründet, die zu mehr als 49% im Besitz von Ausländern sind.
Für bereits registrierte Unternehmen ist zu beachten, dass das Finanzgesetz 2021 Handelsunternehmen aus den betroffenen Sektoren mit einem oder mehreren ausländischen Partnern dazu verpflichten, bis spätestens zum 30. Juni 2021 die Konformität mit der 51/49-Regel umzusetzen, soweit dies noch nicht der Fall ist. Da die 51/49-Regel vor Inkrafttreten des Finanzgesetzes 2020 quasi absolut war, dürfte kaum ein Unternehmen betroffen sein, welches vor dieser Zeit bereits existierte. Es ist auf das Risiko hinzuweisen, dass betroffene Unternehmen, die laut Handelsregisterauszug auch nach dem 20. Juni 2021 nicht der 51/49-Regel genügen, aus dem Handelsregister gestrichen werden[8]. Das Risiko ist daher die rechtliche Nichtexistenz des jeweiligen Unternehmens. Dies wirft spontan die Frage auf, ob die 51/49-Regel auch auf Unternehmen angewendet werden soll, die nur akzessorisch eine dieser Regel unterliegende Tätigkeit ausüben. Nach dem derzeitigen Stand der Texte deutet nichts darauf hin, dass solche Unternehmen von der ab dem 31. Juni 2021 geltenden Konformitätspflicht befreit sind.
Es ist davon auszugehen, dass sich die algerische Verwaltung zur Identifizierung der betroffenen Unternehmen auf die Codes der „Nomenklatur der Wirtschaftstätigkeiten“ (NAE)[9] stützt, die dem Nationalen Zentrum des Handelsregisters (CNRC)[10] von den Unternehmen gemeldet werden müssen.
Unternehmen, die Rohstoffe, Produkte und Waren importieren, welche zum Wiederverkauf bestimmt sind, werden demnach sehr einfach von der Verwaltung zu identifizieren sein, da ihr NAE-Code notwendigerweise mit 4 beginnt.
Es ist den betroffenen Unternehmen daher zu empfehlen, dafür zu sorgen, dass ihre von der 51/49-Regel erfassten Tätigkeiten nur auf der Ebene der Zweitregistrierung im Handelsregister und nicht in der Hauptregistrierung erscheinen. Andernfalls ist es nach Möglichkeit vorzuziehen, die CNRC-Registrierungen entsprechend zu ändern.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die rechtlichen Grundlagen der geänderten 51/49-Regel noch recht vage und unausgegoren erscheinen, sodass im Einzelfall eine beträchtliche Rechtsunsicherheit bei der Frage bestehen kann, ob ein Unternehmen in den Anwendungsbereich dieser Regel fällt oder nicht. Es ist damit zu rechnen, dass der algerische Gesetzgeber in näherer Zukunft weitere Normen erlassen wird, um den Anwendungsbereich der 51/49-Regel weiter zu definieren.
April 2021
Pauline Coune, Avocat
Dr. Daniel Smyrek, Rechtsanwalt u. Avocat, Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
[1] Art. 58 der Ordonnance n°09-01 vom 22. Juli 2009 portant loi de finances complémentaire pour 2009 (genehmigt durch die Loi n°09-05).
[2] Ordonnance n°01-03 20. August 2001 relative au développement de l’investissement.
[3] Loi n°19-14 vom 11. Dezember 2019 portant loi de finances pour 2020.
[4] Art. 66, Abs. 3 der Loi n°15-18, in der Form des Art. 109 der Loi n°19-14.
[5] Art. 49 ff. der Loi n°20-07 vom 4. Juni 2020 portant loi de finances complémentaire pour 2020.
[6] Art. 139 der Loi n°20-16 vom 31. Dezember 2020 portant loi de finances pour 2021, der Art. 49 der Loi n°20-07 ersetzt.
[7] Art. 52 der Loi n°20-07 in der Form von Art. 138 der Loi n°20-16.
[8] Art. 49, al. 2 de la Loi n°20-07 inséré par l’art. 139 de la Loi n°20-16.
[9] Nomenclature des activités économiques ; Décret n°15-249 vom 29. September 2015 fixant le contenu, l’articulation ainsi que les conditions de gestion et d’actualisation de la nomenclature des activités économiques soumises à inscription au registre du commerce.
[10] Centre National du Registre du Commerce.