Das libysche Recht enthält Sonderbestimmungen für das Zustandekommen von Investitionsverträgen von ausländischen Investoren mit der libyschen öffentlichen Hand (Investor-Staat-Verträge). Rechtliche Grundlage für den Abschluss von Verträgen unter Beteiligung des libyschen Staates oder seiner Untergliederungen ist die Verwaltungsvertragsverordnung (Administrative Contract Regulations) aus dem Jahre 2007.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Verwaltungsvertragsverordnung (VVV) ist, dass es sich um staatlich genehmigte Investitionsprojekte handelt, die aus staatlichen Haushaltsmitteln finanziert werden. Als wesentliches Charakteristikum ist dabei hervorzuheben, dass der Regelungsinhalt der VVV automatisch Bestandteil eines jeden Investor-Staat-Vertrages wird.
Regelungsinhalt
Verfahrensrechtlich ist zunächst zu beachten, dass nach Art. 8 VVV Verträge unter staatlicher Beteiligung entweder im Wege von „allgemeinen Ausschreibungen”, „beschränkten Aus-schreibungen”, „direkten Aufträgen” oder „öffentlichen Versteigerungen” vergeben werden müssen. Für öffentlich-finanzierte Investitionsprojekte besteht grundsätzlich die Verpflichtung zur allgemeinen Ausschreibung. Abweichungen hiervon sind nur dann zulässig, wenn es sich um Beratungsdienstleistungen, Verträge zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit und Verträge mit ausländischen Staatsgesellschaften handelt. Die jeweils zuständigen Behörden sind bei der Evaluation der Angebote verpflichtet, diese nach strengen technischen, rechnerischen und wirtschaftlichen Vorgaben zu bewerten.
In diesem Zusammenhang besteht eine Hinterlegungspflicht des erfolgreichen Bieters (Bid Bond) von 2% des Auftragsvolumens. Die Erfüllung dieser Pflicht wird vom libyschen Gesetzgeber als wesentliches Erfordernis zum wirksamen Vertragsabschluss erachtet. Nach Art. 18 Abs. 1 Nr. 3 VVV kommt der Vertrag erst mit der Hinterlegung des anzuzahlenden Betrages zustande. Darüber hinaus besitzt der staatliche Vertragspartner bzw. Auftragsgeber dann ein gesetzesimmanentes Widerrufsrecht, wenn sich der Unternehmer mit dem Beginn der Projekterrichtung in Verzug befindet, dieser im Ausschreibungsverfahren unwahre Angaben gemacht hat oder der Zuschlag in Folge von Korruption getätigt wurde.
Ferner ist hervorzuheben, dass der Investor-Staat-Vertrag grundsätzlich in arabischer Sprache abzufassen ist. Bei Beteiligung von internationalen Unternehmen besteht zwar die Möglichkeit diesen ebenfalls in ausländischer Sprache zu gestalten, in Fällen von Auslegungsdifferenzen ist jedoch ausschließlich die arabische Fassung maßgeblich. Weiterhin sind für die Beilegung von Streitigkeiten grundsätzlich die libyschen Gerichte zuständig. Darüber hinaus ergänzt die VVV Vorschriften des allgemeinen Vertrags- und Werkvertragsrecht.
Würdigung und rechtliche Einordnung
Die Verabschiedung und Novellierung der VVV soll insbesondere der wirtschaftlichen Entwicklung Libyens durch die zwingende Verwendung von nationalen Produkten, dem Transfer von internationalem Know-how sowie der Ausbildung lokaler Arbeitskräfte dienen. Darüber hinaus trägt die VVV dem allgemeinen Protektionismus zugunsten der eigenen Rechtsordnung Rechnung, welcher sich insbesondere durch die zwingende Zuständigkeit libyscher Gerichte bei der Streitbeilegung zeigt. Zudem sind die materiellrechtlichen Vorschriften dahingehend konzipiert, den Einfluss multinationaler Unternehmen bei der Vertragsabwicklung zu begrenzen.
Anders als der im französischen Recht existierende contrats administratif, der dem staatlichen Vertragspartner das Recht zu einseitigen Vertragsauflösung in Fällen der Gefährdung des öffentlichen Interesses einräumt, erkennt die libysche VVV die Bindungswirkung von Verträgen ausdrücklich an. Die Möglichkeiten der Vertragsauflösung des staatlichen Vertragspartners sind gesetzesimmanent abschließend geregelt und zwingend an ein Fehlverhalten des Unternehmers gebunden.
Ferner sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen des Art. 105 und Art. 106 VVV zu berücksichtigen. Kommt es infolge von außergewöhnlichen Umständen zu dem Vorliegen eines gestörten Äquivalenzverhältnisses, welches den Schuldner existenziell bedroht, steht diesem das Recht zur Vertragskündigung zu. Zudem bestimmt Art. 106 VVV, dass der Schuldner von seiner vertraglichen Erfüllungspflicht im Falle von Höherer Gewalt befreit ist. Ausschließlich in diesen abschließend normierten Situationen für den Eintritt von unvorhersehbaren und außergewöhnlichen Umständen wird die Bindungswirkung aufgehoben.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die libysche VVV als Sonderverordnung für internationale Investor-Staat-Verträge in vergabe- und materiellrechtlicher Hinsicht zu qualifizieren ist. Im Gegensatz zur libyschen Investitionsgesetzgebung dient diese nicht zur Etablierung von staatlichen Investitionsanreizen, sondern vielmehr zur Statuierung eines zwingenden normativen Rechtsrahmens für die Gestaltung und Abwicklung internationaler Investitionstätigkeiten.
Dr. Philipp Stompfe, LL.M. (London), Rechtsanwalt/Attorney